Dr. Anke MartinyDer Skandal ist, das Korruption kein Skandal sondern vielerorts der normale Alltag ist
Das Gesundheitswesen zu renovieren lautet der Auftrag. Die Kur, die Transperancy International Deutschland (TI) dem Gesundheitswesen vorschlägt, klingt verblüffend einfach und scheint, die bei vielen Bürgern bestehenden latenten Vorwürfe um die Akteure des Gesundheitswesens zu bestätigen: Man brauche nur, die in dieser Branche durch Korruption versickernden Beträge für die Patienten zurückgewinnen, und es bestehe kein Finanzierungsproblem mehr.

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Wie berechtigt sind solche Vorwürfe? Gegen wen richten sich diese? Wie kann wirkungsvoll gegen Korruption vorgegangen, wie diese in ihrer Entstehung behindert werden? Warum lösten die von  Transperancy International Deutschland (TI) erhobenen Vorwürfe nur so geringe Resonanz innerhalb der angeklagten Branche aus?

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Eröffnet wird das Thema durch ein Interview mit Dr. Anke Martiny, die bei TI-Deutschland federführend die Sektion Gesundheitswesen leitet.

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Dr. George: Korruption ist ein Phänomen, mit besonderer Vitalität, wie konnte es dazu kommen, dass sich diese zuletzt derart vehement auch bei uns in Deutschland ausbreiten konnte?

Frau Dr. Martiny: Vermutlich ist es nicht so, dass die Korruption sich in den letzten Jahren weiter ausgebreitet hat. Aber seit Mitte der neunziger Jahre sind in allen Bundesländern Polizei und Staatsanwaltschaften zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität, darunter Korruption, sehr ausgebaut worden. Polizisten und Staatsanwälte sagen einem deutlich: wenn wir hinschauen, finden wir was. Und ein Verfahren zieht meistens einen Rattenschwanz von fünf bis zwanzig Folgeverfahren nach sich. Um die Jahrtausendwende sind auf Grund des Parteispenden-Skandals bei der CDU im Bund und in Hessen auch für die politische Korruption die Regeln verschärft worden. Es wäre schlimm, wenn all dies nicht dazu geführt hätte, dass mehr Verfahren eröffnet werden. Das Risiko, entdeckt zu werden, ist eine wichtige Präventionshürde, die man noch erheblich höher setzen müsste.

Dr. George: Ein Phänomen der Korruption ist, dass die Betroffenen selber in aller Regel kein Unrechtsbewusstsein empfinden. Wie kommt dies zustande?

Frau Dr. Martiny: Es ist nur teilweise richtig, dass die Bestechenden und die Bestochenen kein Unrechtsbewusstsein hätten. Viele Menschen in machtvollen Positionen glauben zwar, dass ihnen solche geldwerten Vorteile zustehen und dass man Geschäftskunden mit Geschenken halten muss, weil sie sonst abwandern. Aber Menschen und Firmen, die sich anders verhalten, wirken in ihrem Umfeld genauso "ansteckend" wie solche, die sich lebenslang vorteilsgierig und nicht integer verhalten haben. Es geht darum, den Mut zur Integrität, das gute Beispiel zu unterstützen.

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Dr. George: Demnach ist Korruption sehr häufig ein sich psychologisch subtil ausbreitendes Phänomen?

Frau Dr. Martiny: Die Psychologie ins Spiel zu bringen, ist vermutlich richtig: korrupte Menschen sind häufig in ihrem Kern unsicher und deshalb auf Macht und Einfluss und deren Insignien besonders angewiesen. Wer sich seiner selbst und seines Wertes - und das gilt dann auch für das berufliche Wirkungsfeld - sicher ist, braucht keine korruptiven Hilfen.

Dr. George: Sind Ihre Erfahrungen im Gesundheitswesen vergleichbar mit denen in anderen Branchen oder gibt es eine spezielle Dynamik?

Frau Dr. Martiny: Im Gesundheitswesen ist die fehlende Transparenz das größte Problem. Eine ärztliche Selbstverwaltung wie bei uns gibt es praktisch nirgendwo sonst auf der Welt. Außerdem: Wo andere einen Gesundheitsminister haben, haben wir siebzehn. Und schließlich zeigt alle Erfahrung: wo mit Gesundheit besonders viel Geld zu verdienen ist, wird auch mit Haken und Ösen um den Markt gefeilscht.

Dr. George: Welche Bereiche in Organisationen sind ihrer Erfahrung nach für diese Krankheit besonders anfällig?

Frau Dr. Martiny: In Deutschland liegt ein besonderer Problembereich bei der intransparenten Zulassung und dem In-Verkehr-Bringen der teuren "Pseudoinnovationen" des Pharmamarktes. Hier sind insbesondere die "Geschäfte", die der Pharmavertrieb mit vor allem den niedergelassenen Ärzten treibt, oft nicht koscher. Außerdem lädt die festgelegte "Regelarbeitszeit" von täglich zwölf Stunden - ohne Hausbesuche, Privatpatienten, Praxisverwaltung" -, die niedergelassene Ärzte geltend machen können, ohne dass bei ihnen Abrechnungsbetrug gewittert wird, zum Betrug regelrecht ein. Die KVen müssten endlich Instrumentarien entwickeln, die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen zu enttarnen und zu bestrafen, damit das Image der sauberen Ärzte nicht Schaden nimmt.

Dr. George: Wenn sich Korruption tatsächlich wie eine schleichende zur Chronifizierung neigenden Krankheit ausbreitet, heißt dies, dass der Früherkennung eine besondere Rolle zukommt und wie kann diese praktisch aussehen?

Frau Dr. Martiny: In der Tat sollte unser besonderes Augenmerk auf die Korruptionsvorbeugung gelegt werden. Das setzt aber voraus, dass man endlich ohne Scheuklappen auf die Lage schaut. Bisher fehlt es an Ehrlichkeit. Da schieben die einzelnen Organisationen der Selbstverwaltung den Schwarzen Peter immer sehr schnell weiter an die anderen Gruppen im Spiel.

Dr. George: Bleiben wir in dem Bild, dass die Korruption Ähnlichkeiten und Vergleichbarkeiten zu Krankheit haben könnte: Wenn sich die Krankheit Korruption nun doch schon ausgebreitet hat, was dann? Hilft nun nur noch eine Totaloperation? Was empfehlen Sie?

Frau Dr. Martiny: Man könnte Korruption sicher am ehesten mit der Therapie eines Krebsgeschwür vergleichen: am besten Vorbeugen, wenn die Krankheit auftritt Kontrollieren, im Härtefall mit allen Mitteln dagegen vorgehen. Dies sind die geeigneten Therapien. Gesundbeterei hilft nicht.

Dr. George: Ist denn diese Krankheit Korruption -- aufgrund Ihrer Erfahrungen -- ansteckend?

Frau Dr. Martiny: Ansteckend ist die Krankheit eher wie beim faulenden Fisch - vom Kopf her. Deswegen ist es ja so verhängnisvoll, dass nach den Untersuchungen der Wirtschaftsprüfungsunternehmen meistens die ehrbaren Spitzen der Gesellschaft auf der Vorstandsebene oder gleich darunter den Hals nicht voll genug kriegen.

Dr. George: Also scheint der Korruptions-Prävention -- vor allem auf die Zukunft ausgerichtet -- eine besondere Rolle zuzukommen?

Frau Dr. Martiny: Korruptionsprävention heißt das Gebot der Stunde. Das entsprechende Konzept und Instrumentarium müssen die Unternehmen, Organisationen, Kommunen aber selbst entwickeln, es muss von unten wachsen und von oben gewollt, verantwortet, durchgesetzt und kontrolliert werden.

Dr. George: Soll solch ein Vorgehen wie eine Art Korruptions-Immunisierung funktionieren bzw. wie könnte diese Immunisierung aussehen?

Frau Dr. Martiny: Immunisieren wird man eine Gesellschaft und auch einzelne Verantwortungsträger sicher nie vollständig gegen Korruption. Aber es müsste bekannter sein, dass sie sich wirklich nicht lohnt. Denn das Risiko, erwischt zu werden, wächst kontinuierlich. Selbst ein Herr Pfahls wird keinen gemütlichen ruhigen Lebensabend haben, wenn er auf die Staatssekretärspension mit allen Vergünstigungen verzichten muss.


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