Eine neue Methode gibt Patienten mit schwersten Depressionen Anlass zur Hoffnung. Mediziner der Unikliniken Bonn und Köln haben insgesamt zehn Patienten mit der tiefen Hirnstimulation behandelt. Dabei implantierten sie den Studienteilnehmern Elektroden in den Nucleus accumbens. Dieses Hirnzentrum spielt im so genannten Belohnungssystem – welches bei depressiven Menschen
in seiner Funktion gestört sein kann – eine zentrale Rolle. Bei der
Hälfte der Probanden verbesserte sich das Befinden daraufhin deutlich.
Alle Patienten hatten jahrelang unter schwersten Depressionen gelitten,
die sich durch andere Therapien nicht in den Griff bekommen ließen. Die
Ergebnisse der Studie erscheinen in Kürze in der Zeitschrift Biological
Psychiatry (doi: 10.1016/j.biopsych.2009.09.013).
Bei der tiefen Hirnstimulation beeinflussen Mediziner mit einem
elektrischen Hirnschrittmacher gezielt die Funktion bestimmter
Hirngebiete. In der aktuellen Studie implantierten sie dazu Elektroden
in den so genannten Nucleus accumbens. Das ist ein wichtiger Teil des
so genannten „Belohnungssystems“. Dieses sorgt dafür, dass wir uns gute
Erfahrungen merken, und versetzt uns in einen Zustand der Vorfreude.
Ohne Belohnungssystem würden wir keine Zukunftspläne schmieden, weil
wir die Früchte dieser Pläne nicht genießen könnten. Inaktivität und
Genussunfähigkeit sind zwei wichtige Kennzeichen einer Depression.
An der Studie nahmen insgesamt zehn Patienten mit schwersten
Depressionen teil. Bei allen sprach die Krankheit weder auf Medikamente
noch auf Psychotherapie oder andere Therapien an. Alle Teilnehmer
reagierten insgesamt positiv auf die Behandlung; bei der Hälfte von
ihnen verbesserte sich die depressive Symptomatik deutlich. Erste
Wirkungen zeigten sich oft schon nach wenigen Tagen. „So beobachteten
wir unter anderem eine zunehmende Aktivität der Patienten“, erklärt
Professor Dr. Thomas E. Schläpfer von der Bonner Klinik für Psychiatrie
und Psychotherapie. „Das ging so weit, dass einige von ihnen nach
vielen Jahren der Arbeitsunfähigkeit sogar wieder arbeiten konnten.
Keiner unserer Patienten hatte jemals zuvor in ähnlich starker Weise
auf irgendeine Therapie angesprochen.“
Kaum Nebenwirkungen
Bei fünf Patienten verbesserte sich das Befinden signifikant.
Gewöhnungseffekte traten bei ihnen nicht ein: Auch nach einem Jahr
wirkte die Stimulation des Nucleus accumbens noch so gut wie zu
Studienbeginn. Dabei beobachteten die Forscher auch Angst lösende
Effekte, wie sie in bisherigen Studien zur tiefen Hirnstimulation noch
nicht beobachtet wurden. „Starke unspezifische Ängste sind oft
Begleiterscheinungen einer Depression“, erläutert die Erstautorin der
Studie Dr. Bettina Bewernick. Die Hirnfunktion der Teilnehmer wurde
durch die Behandlung nicht beeinträchtigt. Einige neuropsychologische
Funktionen verbesserten sich sogar. Auch sonst registrierten die
Wissenschaftler nur geringe Nebenwirkungen, etwa als Folge der
Operation oder nach Änderung der elektrischen Parameter für die
Stimulierung. Diese klangen aber stets nach kurzer Zeit wieder ab.
Stimulierung ändert den Hirnstoffwechsel
Was aber bewirkt die Reizung des Nucleus accumbens genau? „Wir konnten
in einem Hirnscanner sichtbar machen, dass sich durch die Stimulation
die Stoffwechselaktivität verschiedener Hirnzentren ändert“, sagt
Schläpfer. „Ganz wichtig: Die Stoffwechseländerungen betreffen nicht
nur den Nucleus accumbens selbst, sondern auch andere Regionen im so
genannten limbischen System. Dort verarbeitet das Gehirn Emotionen.“
Die Wissenschaftler warnen angesichts der geringen Fallzahl vor
übertriebenen Hoffnungen. Auch müsse man bei Eingriffen ins Gehirn in
besonderer Weise ethische Faktoren abwägen – nicht zuletzt, weil eine
solche Operation immer riskant sei. „Unsere Studie zeigt aber auf jeden
Fall, dass die tiefe Hirnstimulation manchen Menschen mit extrem
schweren Depressionen helfen kann“, betont Schläpfer. „Und das selbst
in Fällen, die bislang als absolut therapieresistent galten.“
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