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Ein kaum beachtetes Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2005 zu öffentlichrechtlichen Versorgungsverträgen erhält durch die Debatte am 28.03.2012 im Ausschuss für Gesundheit eine neue Bedeutsamkeit. Der Ausschuss für Gesundheit debattierte am 28. März 2012 über Ergebnisse und Veränderungen bei der Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen. Trotz aller Gesetzesänderungen in den letzten Jahren und des Verbots der unzulässigen Kooperationen durch § 128 SGB V schien keiner der Teilnehmer so richtig zufrieden.

Bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss wurde deutlich, dass § 128 SGB V keine wesentlichen Veränderungen herbeigeführt hat und vor dem Hintergrund des Paragraphen vermehrt Tendenzen zur Umsteuerung von Behandlungen und Versorgungen in den privatärztlichen Bereich zu beobachten sind. Seit Monaten warten daher die Branche, Politiker, Richter und Ermittlungsbehörden mit Spannung auf eine Grundsatzentscheidung des Großen Senats beim Bundesgerichtshof zu der Frage, ob niedergelassene Ärzte im juristischen Sinn als Amtsträger einzustufen sind - und sich entsprechend der Korruption schuldig machen können.

Von den insgesamt 25 Sachverständigen im Ausschuss vertrat die Leiterin der Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen bei der KKH-Allianz, Dina Michels, mit ihrer ausführlichen Stellungnahme zu einem Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2005 zweifellos den relevantesten Standpunkt.

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Das Bundessozialgericht (BSG) legte in seinem Urteil vom 17. März 2005 (B 3 KR 2/05 R) eine streng formale Betrachtungsweise bei allen öffentlich-rechtlichen Kassenverträgen zugrunde, nach der eine Leistung auch dann nicht vergütungsfähig ist, wenn sie auch nur in formaler Hinsicht den Anforderungen nicht entspricht.

Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Leistung zwar einwandfrei erbracht wurde, dies aber nicht ordnungsgemäß, das heißt gesetzes- oder vertragswidrig geschah.

So ist z.B. bei Hilfsmittelverträgen nach § 127 SGB V anerkannt, dass eine Rechnungsstellung für bestimmte Werk- oder Dienstleistungen regelmäßig die zwingende Erklärung enthält, diese Leistungen seien vertragsgemäß erbracht worden und der Leistungserbringer gewährleiste mit seiner Präqualifizierung und seinem Qualitätsmanagement System alle vertraglichen Anforderungen. Bei der Geltendmachung von Vertragspreisen zur Hilfsmittelversorgung oder Festbeträgen enthält die vertragskonforme Abrechnung mit der Krankenkasse zusätzlich die zwingende Vorschrift, die entsprechende Leistung sei gemäß den Hilfsmittel-Richtlinien und unter Beachtung des Medizinprodukterechts erbracht worden.

Aufgrund des vom BSG entwickelten und vom Bundesgerichtshof (BGH) in Strafsachen übernommenen Vertrauensgrundsatzes, dürfen Krankenkassen insbesondere vor dem Hintergrund des im Gesundheitswesen vorliegenden Massenabrechnungsverfahrens darauf vertrauen, dass die ärztlichen und nichtärztlichen Leistungserbringer bei der Abrechnung alle vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben einhalten.


Ein Leistungserbringer täuscht also die Krankenkassen, wenn nicht vertragsgerecht geleistet wird und nicht alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Vertragsarztrecht und zum Leistungsrecht der Gesetzlichen Krankenkassen haben Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher oder sonstiger Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, innerhalb dieses Systems die Funktion zu gewährleisten, dass sich die Leistungserbringung nach den für diese Art der Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht. Das wird dadurch erreicht, dass dem Vertragsarzt, dem Apotheker oder dem sonstigen Leistungserbringer für Leistungen, die unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirkt werden, auch dann keine Vergütung zusteht, wenn diese Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden und für den Versicherten geeignet und nützlich sind.

Da ein Leistungserbringer für nicht vertragsgemäß erbrachte Leistungen insgesamt keinen Anspruch auf Vergütung hat, besteht ein Schaden daher in voller Höhe der angewiesenen Vergütung für die nicht vertragsgemäß erbrachte Leistung.


Nach diesem Urteil muss jede Eigenerklärung und Eignungsbestätigung im Präqualifizierungsverfahren mit besonderer Aufmerksamkeit geprüft werden, da vielleicht doch nicht jede Filiale mit eigener IK-Nummer ständig über einen fachlichen Leiter verfügt und die sachlichen sowie räumlichen Anforderungen erfüllt. Somit kann die Kreuzchentabelle des GKVSpitzenverband Bund zur Falle werden.

Die in vielen Hilfsmittelverträgen standardmäßige vertragliche Formulierung, dass der Leistungserbringer die Einhaltung der Hilfsmittel-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss in der jeweils gültigen Fassung und das Medizinproduktegesetz gewährleistet, bekommt unter Berücksichtigung des BSG-Urteils eine ganz andere Bedeutung.

Vertragsbeitritte gemäß § 127 Abs. 2 SGB V sollten auf alle Fälle genauestens geprüft werden, ob alle vertraglichen Pflichten und gesetzlichen Anforderungen eingehalten werden können, sonst besteht die Gefahr für den Leistungserbringer, am Ende keinen Vergütungsanspruch zu haben. Geschieht dies noch vorsätzlich, sind die Folgen nicht nur Umsatzverlust sondern unter Umständen auch strafrechtlich mehr als relevant.

 

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